Immer mehr Menschen in Not: Ergänzend zur Tafel unterstützt fortan der Martinsladen Bedürftige in Rhön-Grabfeld
Kooperation der vier Wohlfahrtsverbände: Caritas-Gabenregal zieht als Martinsladen in die Sonnenstraße Bad Neustadt. Warum das Angebot erweitert wird.
Geflüchtete, Bürgergeld-Empfänger, Alleinerziehende, Rentner – Bedürftigkeit in Rhön-Grabfeld hat viele Gesichter. Da sind sich die Vertreter der vier großen Wohlfahrtsverbände im Landkreis – Ralf Baumeister, Geschäftsführer des BRK Kreisverbandes Rhön-Grabfeld, Lothar Schulz von der Kirchlichen Allgemeinen Sozialarbeit (KASA) der Diakonie Bad Neustadt, Angelika Ochs, Geschäftsführerin des Caritasverbandes Rhön-Grabfeld, sowie Rainer Kaufmann, Bezirksgeschäftsführer der Malteser – einig: "Wir erleben einen Anstieg von Hilfesuchenden."
"Die wirtschaftliche Not ist einfach da", bringt es Rainer Kaufmann auf den Punkt. "Man rutscht manchmal ganz schnell durch alle sozialen Netze hindurch – von der Mitte ganz nach unten", formuliert es Angelika Ochs. Lothar Schulz findet "die Diskussion, dass das Bürgergeld so immens viel wäre, gefährlich".
Was bedürftige Menschen im Martinsladen in Bad Neustadt bekommen können
Weil den Verantwortlichen diese Entwicklung Sorgen macht, haben sie entschieden, mit einem Martinsladen in der Sonnenstraße in Bad Neustadt gegenzusteuern. Dorthin zieht das bislang in kleinerem Stil in der Kellereigasse von der Caritas betriebene Gabenregal um. Bedürftige können im Martinsladen künftig einerseits kostenlos Gegenstände des täglichen Bedarfs und andererseits auf Berechtigungsschein einmal pro Woche gerettete Lebensmittel erhalten.
Ein derartiges Angebot sei nötig geworden, da die Bad Neustädter Tafel, ihre Kapazitätsgrenze erreicht hat. Das bestätigt die Vorsitzende, Romy Straub, auf Anfrage. Rund 200 Menschen würden dort jede Woche mit Lebensmitteln versorgt. 2022, mit Beginn des Krieges in der Ukraine, hatte das Team der Tafel schweren Herzens entschieden, keine neuen Kunden mehr annehmen zu können. Damals, erinnert sich Angelika Ochs, sei die Caritas notfallmäßig ergänzend eingesprungen. Das Gabenregal in der Garage in der Kellereigasse wurde leider nie wieder obsolet.
Eine Ergänzung, keine Konkurrenz zur bestehenden Tafel will der Martinsladen sein
Der neue Martinsladen, erklärt Ralf Baumeister, "soll keine Konkurrenz zur Tafel sein", sondern verstehe sich als Ergänzung: Während die Tafel am Samstag Lebensmittel ausgibt und dafür ab Donnerstag Supermärkte anfährt, klappere der Martinsladen von Anfang der Woche bis Mittwoch den Handel ab, um Lebensmittel zu retten. Ausgabetage des Martinsladens sind Dienstag und Donnerstag.
Versorgt würden nie die gleichen Leute: "Wer einen Tafel-Berechtigungsschein hat, bekommt bei uns keinen und umgekehrt", so Ochs weiter. Jeder Berechtigte kommt nur ein Mal pro Woche zum Zug. Der Anspruch auf einen Berechtigungsschein wird alle sechs Monate kontrolliert.
Der Bedarf ist hoch, schon jetzt stehen 50 Haushalte auf der Warteliste
90 bis 100 Haushalte mit circa 350 Personen sollen künftig vom Martinsladen versorgt werden. "Das ist schon recht viel und bringt uns an die Grenze des Machbaren", so Ochs. Für die Lebensmittel-Scheine gebe es inzwischen eine Warteliste mit über 50 Haushalten.
Das Besondere an dem Projekt: die vier großen, im Landkreis Rhön-Grabfeld aktiven Wohlfahrtsverbände, ziehen an einem Strang. "Bei dem vielen Hilfsbedarf kommen wir allein nicht mehr dahin, wo wir hinwollen", so Ochs. Entsprechend habe man entschieden, die Ressourcen zu bündeln.
Das einstige Caritas-Gabenregal aus der Kellereigasse zieht als Martinsladen in die Sonnenstraße
Dass durch den Umzug des Bayerischen Roten Kreuzes in die Meininger Straße in der Bad Neustädter Sonnenstraße Raum frei wurde, war ein Glücksfall: Dem einstigen Gabenregal stehen nun im neuen Martinsladen rund 80 Quadratmeter zur Verfügung, so Ralf Baumeister. Offiziell eröffnet und gesegnet werden die Räumlichkeiten diesen Mittwoch.
Auch die Parkplatzsituation sei in der Sonnenstraße deutlich entspannter. Die Klienten, die in der Kellereigasse mitunter bis auf die Straße anstanden, waren durchaus auch Objekt neugieriger Gaffer: "Wer steht an? Wie groß sind deren Autos?", erzählt Lothar Schulz. Nun könne man einen "geschützteren Rahmen" bieten.
Angeboten wird im Martinsladen alles außer Kleidung. Dafür gebe es bereits den Rot-Kreuz-Kleiderladen "Stoffwechsel" in Unsleben und den Caritas-Kleidermarkt neben dem Point-Center. Anders als für die Lebensmittel braucht es für die kostenlosen Gegenstände des täglichen Bedarfs keine Berechtigungsscheine. "Da findet keine Überprüfung statt, aber wir haben eine Beschränkung auf eine bestimmte Anzahl Gegenstände eingeführt", berichtet Angelika Ochs. Wer Gegenstände anliefere, dürfe im Gegenzug auch mal eine schöne Vase mitnehmen. Letztlich entstünde so ein Begegnungsort. "Das ist richtig schön zu sehen, wie sich das entwickelt", so Ochs.
Was die Verantwortlichen angesichts des Martinsladens hoffnungsfroh stimmt
Zwei Punkte sind es, die die Vertreter der Wohlfahrtsverbände angesichts des Martinsladens hoffnungsvoll stimmen: Einerseits, die Tatsache, dass die Rhön-Grabfelder Bevölkerung ansprechbar sei. Rufe man bei Produkt-Knappheit über die sozialen Netzwerke zum Spenden auf, werde im Landkreis geholfen, so Ochs: "Das ist der Charme hier." Besonders gefragt seien im Übrigen immer haltbare Lebensmittel.
Andererseits macht die Verantwortlichen der Blick auf die Ehrenamtlichen glücklich: 12 bis 20 Helfer engagieren sich aktuell im Team Lebensmittelausgabe, etwa 5 im Bereich Alltagsgegenstände. Viele davon seien selbst Geflüchtete. "Das sind Menschen mit Migrationshintergrund, die sagen: Ich will was zurückgeben", erzählt Ochs und ergänzt: "Ich finde das richtig klasse."
Der Martinsladen ist geöffnet am Dienstag von 9 bis 10.30 Uhr und am Donnerstag von 13 bis 14.30 Uhr. Weitere Öffnungszeiten, zu denen dann allerdings keine Lebensmittelausgabe stattfindet, sind in Planung.